In einer Zeit von Arbeitsverdichtung, E-Mail-Fluten, hohen Ansprüchen an Berufs- wie Privatleben erscheint es immer wichtiger, nicht den Überblick oder den Anschluss zu verlieren. Das erzeugt oftmals Stress. Eine uns angeborene Fähigkeit kann jedoch helfen, besser mit Druck umzugehen: die Achtsamkeit. "Achtsamkeit ist eine Schulung der Wahrnehmung. Man lernt, den gegenwärtigen Augenblick bewusst zu erleben, mit allen Sinnen. Um diese unmittelbare Erfahrung geht es", sagt Susanne Helbig. Die Krankenschwester und Co-Therapeutin in der Klinik für Psychosomatik und psychotherapeutische Medizin am Helios Klinikum Emil von Behring besitzt die Ausbildung zur MBSR-Lehrerin und leitet am Helios Prevention Center Berlin-Zehlendorf Seminare zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBRS = engl.: Mindfulness-Based Stress Reduction).
Wo fängt Achtsamkeit an? Bereits wenn wir bemerken, dass wir nicht mehr konzentriert sind, ist das ein Moment der Achtsamkeit. Ein solches genaues Hinsehen gilt es zu trainieren. "Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion ist dafür geeignet, weil es eines der am meist erforschten Präventionsprogramme ist", sagt Helbig. Aber auch bei bestehenden Krankheiten wie chronischen Schmerzen, Depressionen sowie Angsterkrankungen oder Essstörungen deuten Wirksamkeitsstudien auf einen positiven Effekt hin.
Wie kann man seine Achtsamkeit nun aber schulen? Wer sich für das Thema interessiert, findet viel Fachliteratur, die einen Einstieg ermöglicht. "Von einem Trainer geführte Kurse bieten den Vorteil der fachlichen Anleitung. Zudem fordern sie eine gewisse Verbindlichkeit vom Teilnehmer. Häufig zeigt sich zudem im Verlauf, dass der Austausch in der Gruppe für viele wichtig ist." Mit Hilfe der Übungen wie Meditation und Körperwahrnehmungsübungen werden die Teilnehmer geschult, die Achtsamkeit in das alltägliche Tun wie Essen, Waschen oder Putzen einzubauen. "Dabei wird nicht nur der Kontakt zum Hier und Jetzt trainiert – sondern auch der Umgang mit schwierigen Emotionen oder Schmerzen. Achtsam das wahrzunehmen, was in uns vorgeht, heißt nicht zwangsläufig, einen Knopf zu finden, um Unangenehmes abzuschalten, sondern vielmehr einen Weg, es zu akzeptieren und damit leben zu können – oder auch Alternativen zu entdecken."
Welche Rolle spielt Achtsamkeit im beruflichen Umfeld? Oft ist gerade der Job eine ausschlaggebende Motivation für die Teilnahme an MBSR-Seminaren. "Wie kann ich mir die Freude und Neugier an der Arbeit erhalten?", "Wie kann ich lernen, mit meinen Kräften hauszuhalten?" oder "Wie kann ich mit Belastungen im beruflichen wie privaten umgehen?" sind nur einige der Fragen, die Susanne Helbig oft zu Beginn eines Kurses gestellt werden. Die Antworten finden die Teilnehmer schließlich allein – indem sie unter anderem lernen, ihre Prioritäten zu erkennen und zu setzen oder mit Frustration und impulsivem Verhalten anders umzugehen. Insgesamt hilft das Training sowohl den Mitarbeitern als auch den Unternehmen. Denn wenn ein Mitarbeiter seine Aufmerksamkeit verbessert, verringert sich auch seine Fehlerquote. Und wenn er lernt, wieder besser für sich zu sorgen, dann beugt das stressbedingten Erkrankungen und damit Fehlzeiten vor.
Nicht zuletzt aber profitieren auch Führungskräfte von MBSR: "Die sogenannten Sandwich-Führungskräfte, also jene, die in einer Zwischenposition arbeiten, haben eine große Vorbildwirkung – und damit auch die Möglichkeit, eine Veränderung zu bewirken. Wenn sie die Fürsorge für sich selbst ernst nehmen, dann kann diese Achtsamkeit auch zu mehr Gelassenheit im gesamten Team beitragen."