Pressemitteilung

Im Körpergefängnis

Kipfenberg

Vor zwölf Jahren bekam Alfred Medl die schockierende Diagnose: Morbus Parkinson. Seitdem kämpft er entschlossen gegen die Krankheit. Die Parkinsonkomplexbehandlung hat ihm jetzt neue Impulse gegeben.

 

Innerhalb der Therapie hat der Alltagsbezug einen hohen Stellenwert, mit Hilfe von aufgestellten Stangen können die Patienten beispielsweise üben sicher durch eine Menschenmenge zu gehen.

 

Vor zwölf Jahren bekam Alfred Medl die schockierende Diagnose: Morbus Parkinson. Seitdem kämpft er entschlossen gegen die Krankheit. Die Parkinsonkomplexbehandlung hat ihm jetzt neue Impulse gegeben.

 

Es ist Mittwoch, der 5. Juni 2013. Alfred Medl liegt auf dem OP-Tisch. Er ist nur leicht sediert, weil der Chirurg seine Reaktionen beobachten muss. Der Eingriff beginnt, der Neurochirurg fräst sich durch Medls Schädeldecke.

 

Neun Jahre zuvor hatte er die Diagnose Parkinson erhalten. Er war Manager – arbeitete viel und gerne. Hat immer funktioniert, bis die ersten Symptome kamen. Mit starken Rückenschmerzen ging er zu seinem Hausarzt, er wollte fit sein für einen Vortrag, den er halten musste. „Als ich aus der Praxis ging, bat mich der Arzt noch einmal auf und ab zu gehen“, erinnert sich Medl: „Dann sagte er, dass ich wahrscheinlich noch etwas anderes habe.“ Er sollte Recht behalten, eine Untersuchung bei einem Spezialisten brachte die Gewissheit.

 

Morbus Parkinson gehört zu den häufigsten Erkrankungen des Nervensystems. In Deutschland leben etwa 350.000 Menschen damit.  Sie tritt meist zwischen dem 50. und 60. Lebensalter auf. Die Mechanismen, die zu der Erkrankung führen sind noch nicht vollständig erforscht. Nachgewiesen ist, dass die Symptome durch das fortschreitende Absterben spezieller Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin produzieren, verursacht werden. Dopamin ist gemeinsam mit anderen Botenstoffen wichtig für die Bewegungssteuerung. Die Erkrankung zeigt sich deshalb durch langsamere Bewegungen, steife Muskeln, Zittern und einem unsicheren Gang.

 

Die Diagnose war ein Schock für Medl, aber er machte weiter. Mit speziellen Arzneimitteln kam er gut über die Runden. „Nach fünf Jahren ging dann plötzlich nichts mehr, die Medikamente haben schlagartig aufgehört zu wirken“, sagt Medl.

 

Er begann zu recherchieren und hörte das erste Mal auf einem Symposium in der Klinik Kipfenberg von der Methode der Tiefen Hirnstimulation. Dabei werden zwei Elektroden direkt ins Gehirn eingepflanzt. „Der fließende Strom hemmt Nervenzellgruppen in den Basalganglien und bewirkt in den meisten Fällen eine Linderung der Symptome“, erklärt Prof. Dr. Dennis A. Nowak, Chefarzt der HELIOS Klinik Kipfenberg.  Die Methode wird seit zwei Jahrzehnten zunehmend bei der Behandlung von Morbus Parkinson eingesetzt.

 

Medl kann sich an jede Sekunde der Operation erinnern: „Ich glaube, ich bin der einzige Mensch, der sein eigenes Gehirn gesehen hat.“ Heute kann er darüber schmunzeln - damals machte ihm die Operation höllisch Angst. Er durchlebte eine Achterbahn der Gefühle, hat alle Gespräche im OP mitbekommen. „Einmal monierte der Arzt meinen Blutdruck und dann hat er beinahe abgebrochen, weil er befürchtete ein großes Blutgefäß zu verletzen.“ Am Ende ging alles gut!

 

Am nächsten Tag, ein Donnerstag, stand er wie immer vor sechs Uhr auf. Doch diesmal putze er sich die Zähne ohne fremde Hilfe. „Das war Wahnsinn!“, sagt Medl. Das ist drei Jahre her. Er kämpft weiter gegen die Krankheit, ist zweimal in der Reha in Kipfenberg gewesen und steigt jeden Tag auf sein Ergometer. Die Symptome werden stärker. Gute und schlechte Phasen werden durch die Medikamente bestimmt. „Wir hatten die Voltzahl zwischenzeitlich sehr gesteigert, doch Professor Nowak hat sie wieder gesenkt“, sagt Medl. Er scheint enttäuscht: „Durch die reduzierte Stimulation kann ich mich nur sehr langsam bewegen, es ist wie ein Gefängnis, ein Körpergefängnis.“

 

„Parkinson beraubt die Betroffenen Schritt für Schritt ihrer Fähigkeiten und zeigt sich sehr wandelbar“, sagt Nowak: „Die interdisziplinäre Komplexbehandlung kann verloren gegangene Fähigkeiten teilweise zurückgeben und fördert nachweislich die Selbständigkeit im Alltag, die richtige Balance zwischen Symptomminderung und Verhinderung von Nebenwirkungen ist dabei essentiell.“ Ein stationärer Aufenthalt sei die Grundvoraussetzung einer solch komplexen Behandlung.

 

Die Parkinsonkomplexbehandlung wird in der HELIOS Klinik Kipfenberg seit 2014 durchgeführt. Dieses besondere Konzept verbindet die medizinischen Möglichkeiten einer spezialisierten Krankenhausbehandlung mit den therapeutischen Vorzügen der Rehabilitation. Die medikamentöse Therapie wird engmaschig kontrolliert und angepasst. Gleichzeitig nehmen die Patienten an einem intensiven Trainingsprogramm teil. „Täglich planen wir die Therapieeinheiten neu, was einen echten Vorteil für die Patienten bedeutet, die von einem Tag auf den nächsten sehr unterschiedliche Symptome entwickeln können“, erläutert Frank Roelandt, Therapeutischer Leiter der HELIOS Klinik Kipfenberg. Ergotherapeutische und krankengymnastische Behandlungen trainieren die Feinmotorik der Hände und kompensieren Gleichgewichtsstörungen beim Gehen. Weil die Betroffenen häufig leise und undeutlich reden, ist Sprachtherapie wichtig.

 

Heute ist Medl 61 Jahre alt und im Ruhestand. Inaktiv ist er jedoch keineswegs. Er steht immer noch jeden Tag vor sechs Uhr auf und setzt sich auf sein Ergometer. Diese Konsequenz hat er aus der Reha mitgebracht. Während der Aufenthalte in der Klinik hat er die positiven Effekte der Therapie kennen gelernt und hält daran fest. Auf diese Weise versucht er seinem Körpergefängnis so lange wie möglich zu entfliehen.