Frau Brosemann, das diesjährige Motto des Stoma-Tages lautet: „Darüber sprechen verändert das Leben“. Warum fällt es denn vielen Ihrer Patienten so schwer, über ihre Erfahrungen zu sprechen?
Antje Brosemann: Eine Stoma-Anlage zu erhalten, ist für jeden ein großer Einschnitt in die Intimsphäre. Bei so einem Tabuthema fällt es schwer, sich zu öffnen. Wer spricht schon gerne über seine Ausscheidungen?
In welcher Gemütslage kommen die Menschen zu Ihnen in die Helios Klinik Bergisch-Land?
Antje Brosemann: Für viele hat sich das Leben schlagartig verändert. Oft ist zum Beispiel eine Krebsdiagnose die Ursache einer Stoma-Anlage. Die Betroffenen müssen diese neue Situation erst einmal akzeptieren – auch den Umstand: „Ich habe da jetzt einen Beutel im Bauch.“ Sie haben viele Fragen und Ängste, aber oft nicht den Mut darüber zu sprechen.
Wie bringen Sie die Betroffenen dazu, doch über ihre Situation zu sprechen?
Antje Brosemann: Indem ich erst einmal zuhöre und mich Schritt für Schritt herantaste. Einige empfinden ihr Stoma als Schreckgespenst und wechseln lieber schnell das Thema – das muss man respektieren. Ich versuche, Brücken zu bauen und ein Gespür für die Befindlichkeiten zu entwickeln: In welcher Lebenssituation befindet sich dieser Mensch? Welche Ängste hat er? Wie ist es um das soziale Umfeld bestellt?
Stichwort „soziales Umfeld“: Welche Rolle spielen die Angehörigen?
Antje Brosemann: Eine Vertrauensperson zu haben, der man sich öffnen kann – das ist für Betroffene sehr wichtig. Einige haben Menschen in der Familie oder im Freundeskreis, denen sie sich anvertrauen. Andere möchten lieber, dass niemand von der Stoma-Anlage weiß – die wenden sich direkt an uns. Für diese Menschen sind wir da.
Für Menschen da sein – was bedeutet das in der Stomatherapie?
Antje Brosemann: Vor allem, Sicherheit zu vermitteln. Ich zeige Perspektiven auf und mache deutlich: Ja, Stoma bedeutet natürlich eine Einschränkung – aber eine, mit der man gut leben und sich im Alltag zurechtfinden kann. Viele haben zum Beispiel Angst, dass die Stoma-Versorgung nicht sicher ist. Das Horrorszenario: Im Alltag passiert etwas mit meinem Beutel, meine Kleidung ist beschmutzt – und das am besten noch im Supermarkt vor vielen Menschen.
Dem kann ich entgegenhalten: Moderne Stoma-Versorgungen sind dezent, geruchsneutral und absolut alltagstauglich. Eine Patientin war beispielsweise begeistert, dass Sie mit ihrer Stoma-Anlage sogar ins Wasser gehen und die Schwimmbad-Ausflüge mit ihrem Enkel fortsetzen kann.
Wenn die Patienten merken, dass wir ihnen wirklich helfen können, tauen sie auf und fragen nach. Dann startet die eigentliche Beratung.
Wie sieht diese Beratung aus?
Antje Brosemann: Zunächst wählen wir gemeinsam das richtige Versorgungssystem für den Menschen in seiner individuellen Situation aus. Das ist abhängig von mehreren Faktoren: Wie sieht der Alltag aus? Welche Erfordernisse bringt die berufliche Situation mit sich? Welche Hobbys und Tätigkeiten sind außerdem wichtig?
Im nächsten Schritt lernen die Patienten, mit ihrer Stoma-Anlage umzugehen – und so schrittweise ihre Eigenständigkeit zurückzugewinnen.
Sie haben im Berufsalltag oft mit verunsicherten Menschen in delikaten Situationen zu tun. Mal ehrlich, Frau Brosemann: Macht Ihnen der Beruf Spaß?
Antje Brosemann: Und wie! Ich kann meinen Patienten wirklich helfen – und das ist ein tolles Gefühl. Ich bekomme unendlich viel zurück, wenn ich miterleben kann, wie Menschen mit der Zeit wieder aufblühen und sich öffnen.
Darum ist der Welt-Stoma-Tag so wichtig, der auf die besondere Lebenssituation von Stomaträgern aufmerksam macht. Mit einer Stoma-Anlage kann man ein fast normales Leben führen – und das sollte jeder wissen: Ein Stoma ist eben kein Schreckgespenst. Daher kann ich allen Betroffenen nur raten: Fassen Sie Mut und sprechen Sie darüber!
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